Bundesweit einmalig: Projekt von MHH und TK zur Früherkennung der Gallengangatresie bei Kindern verhindert Transplantationen
Hannover (pm). Viele Neugeborene sind in den ersten Lebenstagen von einer leichten Gelbsucht betroffen, die sich meistens von selbst wieder zurückbildet. Doch im Schatten einer harmlosen Gelbsucht kann sich eine Gallengangatresie entwickeln, ein irreversibler Verschluss der ableitenden Gallenwege, der binnen weniger Wochen zu einer Zerstörung der Leber bei neugeborenen Kindern führt. „Die einzige Chance, diese Entwicklung aufzuhalten, liegt in einer rechtzeitigen Diagnose“, sagt Dr. Omid Madadi-Sanjani, Oberarzt in der Klinik für Kinderchirurgie der Medizinischen Hochschule Hannover (MHH).
Deshalb wurden seit Anfang Dezember 2016 in einem bundesweit einmaligen Pilotprojekt von MHH und Techniker Krankenkasse (TK) sowie der Unterstützung durch den „Verein leberkrankes Kind e.V.“ mehr als 200.000 so genannte Stuhlkarten zur Früherkennung der Gallengangatresie an alle stationären niedersächsischen Geburtskliniken verschickt und dort von Kinderärztinnen und -ärzten, Gynäkologinnen und Gynäkologen sowie Hebammen in das „Gelbe Heft“ eingelegt. Eine Umfrage ergab, dass 94 Prozent der Geburtskliniken die Stuhlkarte einsetzen.
Kostenlose App „Leber-Check für Babys“
Jetzt wurde das Programm von MHH und TK weiterentwickelt und die kostenlose App „Lebercheck für Babys“, die die Stuhlkarte digitalisiert, zur Verfügung gestellt. „Digital ist die Stuhlkarte per App immer dabei und steht damit bundesweit allen Eltern zur Verfügung“, sagt Dirk Engelmann, Leiter der TK-Landesvertretung Niedersachsen. Die Stuhlfarbe des Neugeborenen wird zwar bereits heute im Rahmen der Vorsorgeuntersuchung „U3“ zwischen der dritten und achten Lebenswoche mit den Eltern besprochen. „Dieser Zeitpunkt kann für den Erhalt der Leber der Neugeborenen aber schon zu spät sein. Hier sehen wir eine Versorgungslücke, und die wollen wir mit der App schließen“, betont Engelmann. „Es ist aus unserer Sicht wichtig, gerade bei seltenen Erkrankungen frühzeitig zu informieren und aufzuklären und bei Bedarf medizinisch frühzeitig einzugreifen.“
Die Entscheidung, ob ein Befund auffällig ist oder nicht, trifft in jedem Fall ein Arzt – die App soll aber eine Hilfe sein, auffällige Stuhlfarben zu erkennen. Wenn der Farbvergleich auffällig ist, sollte frühzeitig eine Kinderärztin oder ein -arzt aufgesucht werden, der dann eine Blutuntersuchung veranlasst. Gibt es dabei ebenfalls Auffälligkeiten, sollte das Kind sofort an ein ausgewiesenes Zentrum für pädiatrische Gastroenterologie und Hepatologie überwiesen werden.
Operation rettet das Organ
Da die Ursache der Gallengangatresie bisher nicht bekannt ist, erfolgt die symptomatische Therapie ausschließlich chirurgisch. Eine entscheidende Rolle spielt dabei der Faktor Zeit. „Wird das Kind in den ersten 60 Lebenstagen von einem qualifizierten Team operiert, können heute etwa 50 Prozent der Kinder langfristig mit ihrer eigenen Leber überleben“, betonte Dr. Madadi-Sanjani, der das Projekt in der MHH-Kinderchirurgie leitet. Alle anderen erhalten früher oder später eine Lebertransplantation, die zwar ihr unmittelbares Überleben sichert, aber auch mit vielen lebenslangen Einschränkungen verbunden ist.
Die MHH ist das größte Behandlungszentrum für Kinder mit Gallengangatresie in Deutschland, eines der drei größten in Europa und gleichzeitig Standort eines Patientenregisters. Von den 38 auftretenden Fällen pro Jahr in Deutschland werden im Durchschnitt 15 Kinder in der MHH-Kinderklinik behandelt. Die ersten Zentren wurden gerade von der EU im Rahmen der ERN-Initiative (European Referenz Network) zertifiziert. Die MHH ist seitdem Teil des Netzwerks „rare liver“.
Die App „Leber-Check für Babys“ ist kostenlos zur Installation für Android im PlayStore und über das Apple Portal iOs verfügbar unter:
https://apps.apple.com/us/app/leber-check-bei-babys/id1463340111
https://play.google.com/store/apps/details?id=com.pminteractive.babies_liver_check