Seltener Eingriff bei an SARS-CoV-2-Erkrankten
Hannover (pm). Die Medizinische Hochschule Hannover (MHH) hat einer schwer an COVID-19-erkrankten Patientin eine Lunge transplantiert. Für die 34-Jährige war es die einzig noch mögliche Therapie. Ein interdisziplinäres Team der MHH entschied sich nach sorgfältiger Evaluation Anfang Mai 2021 für die Transplantation. Die Patientin, die zum Zeitpunkt der Infektion schwanger war, sowie ihr Kind sind mittlerweile wohlauf. „Der Fall verdeutlicht die Expertise der MHH in der Versorgung von schwer an COVID-19 erkrankten Patientinnen und Patienten in allen Stadien der Erkrankung“, stellt Professor Dr. Frank Lammert, MHH-Vorstand Krankenversorgung, heraus.
Kind per Kaiserschnitt entbunden
Anfang März 2021 war die schwangere Patientin mit einer COVID-19-Infektion in die MHH eingeliefert worden. Ihr stabiler Zustand verschlechterte sich im Laufe einer Woche zusehends: nach einer zunächst erfolgreichen einwöchigen nicht-invasiven-Maskenbeatmung (NIV) musste sie aufgrund eines voranschreitenden Lungenversagens intubiert und künstlich beatmet werden. Unmittelbar nach der Intubation haben sich die Intensivmediziner gemeinsam mit Professor Dr. Constantin von Kaisenberg, Bereichsleiter Pränatalmedizin und Geburtshilfe der MHH-Klinik für Frauenheilkunde und Geburtshilfe, und den Neonatologen der Kinderklinik für einen Kaiserschnitt in der 34. Schwangerschaftswoche entschieden, da sie mit einer weiteren Verschlechterung des Gesundheitszustandes der Mutter rechneten. Für das Kind bestand außerhalb der Gebärmutter bereits eine sehr gute Überlebenschance. Zudem erwarteten die Ärzte, dass sich die Patientin nach Kaiserschnitt besser beatmen lässt und die Behandlung mit einer künstlichen Lunge, extrakorporale Membranoxygenierung (ECMO), erfolgversprechender wäre.
Infektion schädigte die Lunge irreversibel
Die Entscheidung stellte sich nur wenige Tage später als richtig heraus. Der Zustand verschlechterte sich so rapide, dass für eine ausreichende Sauerstoffversorgung der Patientin eine künstliche Lunge (ECMO) notwendig wurde. Aufgrund massiver und irreversibler Schädigung der Lunge prüften die Intensivmediziner gemeinsam mit den hinzugezogenen Pneumologen schließlich, ob eine Lungentransplantation als Ultima Ratio infrage kommen könnte. „Die Lunge der Patientin war durch die Infektion sehr stark geschädigt. Eine Aussicht auf eine Erholung der Lungen bestand trotz aller intensivmedizinischen Maßnahmen nicht mehr“, sagt Professor Dr. Marius Höper, stellvertretender Direktor der Klinik für Pneumologie. „Deshalb haben wir uns letztendlich gemeinsam mit den Intensivmedizinern und Chirurgen nach sorgfältiger Evaluation für eine Transplantation entschieden.“
40 Tage künstlich mit ECMO beatmet
Um die Patientin für die Transplantation evaluieren zu können, musste sie ansprechbar sein. „Oft sind Patienten sediert, wenn sie künstlich beatmet werden“, erklärt Professor Dr. Wolfgang Koppert, Direktor der Klinik für Anästhesiologie und Intensivmedizin. „In insgesamt neun Wochen haben die Ärzte, Pflegekräfte und Physiotherapeuten auf der Station 44 mit viel Einsatz erreicht, dass die Patientin während der künstlichen Beatmung wach und damit ansprechbar sein konnte.“ Insgesamt war die Patientin über 40 Tage von der künstlichen Lunge (ECMO) abhängig.
Um eine Transplantation durchführen zu können, müssen neben der irreversiblen Schädigung des Organs noch weitere Kriterien erfüllt sein: Sie durfte keine relevanten Vorerkrankungen, die den Erfolg der Transplantation hätten gefährden können, und auch keine akute COVID-19-Infektion mehr haben. „Unsere Kriterien für die Listung der Patientin waren, dass sie keine neurologischen Ausfälle, keine Schädigungen an anderen Organen hat und die mit der Transplantation einhergehende lebenslange Therapie einhalten kann“, sagt Professor Dr. Axel Haverich, Direktor der MHH-Herz-, Thorax-, Transplantations- und Gefäßchirurgie und Leiter des MHH-Transplantationszentrums, „all das erfüllte die Patientin.“
Interdisziplinäre Expertise an der MHH
An der Versorgung der Patientin waren Ärzte, Pflegende, Physiotherapeuten und Kardiotechniker zahlreicher Fachdisziplinen beteiligt – von den Intensivmedizinern und Pneumologen über die Frauen- und die Kinderklinik bis hin zu den Chirurgen und Anästhesisten.
„Die Situation war vollkommen anders als sonst bei einer Lungentransplantation, bei der die Patientinnen und Patienten in der Regel über einen Zeitraum von sechs Monaten evaluiert werden und sich während dieses Prozesses mental mit der Situation auseinandersetzen können“, erläutert Professor Höper.
Mutter und Kind sind mittlerweile wohlauf
Für Patientinnen und Patienten, deren Lungen nach einer COVID-19-Infektion irreversibel geschädigt sind, kann eine Transplantation die letzte Therapieoption darstellen. Bisher wurden weltweit etwa 40 dieser Patienten lungentransplantiert. Deutschlandweit sind drei weitere Fälle bekannt. „Bei den bisher vorgenommenen Transplantationen nach COVID-19 wurde berichtet, dass die Schädigung der Lungen die Operation erschwert hatte. Das war bei unserer Patientin aber nicht der Fall“, erklärt Professor Dr. Haverich. „Die Operation verlief ohne weitere Komplikationen. Die Patientin musste nach der Operation auch nicht wieder künstlich mit der ECMO beatmet werden“, sagt der Chirurg. „Nach nur wenigen Tagen setzte die Atmung spontan ein“. Zwei Wochen nach Transplantation konnte sie die Intensivstation verlassen. Die transplantierten Lungen sind voll funktionsfähig. „Es besteht eine gute Chance auf eine vollständige Genesung.“ Mutter und Kind sind mittlerweile wohlauf.