Außergewöhnliche Bilder ? – Außergewöhnlicher Mensch !

Shivan Shareef vor seiner letzten Kreidezeichnung. - © Shivan Shareef

LANGENHAGEN (cmm). In der Facebook-Gruppe „wir sind LAhagen (Langenhagen) du bist hier auch zu Hause?“ tauchten Ende Juni 2020 erstmalig zwei Posts auf, die mit enorm vielen „Likes“ (zusammen mehr als 700!) und ausschließlich positiven und herzlichen Kommentaren (mehr als 200!) registriert wurden.

Auf Stein und Wände gemalte kleine vergängliche Kreidebilder, die unglaublich schnell die Herzen vieler Langenhagener Bürger erobert haben.

Kommentare wie:

„Wie toll. Sowas zaubert einem immer ein Lächeln aufs Gesicht in einer schnelllebigen Stadt, einfach weil man kurz innehält und es einem das Herz erwärmt.“

„Die Zeichnungen sind echt wunderbar und künstlerisch grandios…Auf jeden Fall eine echte Bereicherung, die einem ein liebevolles Lächeln entlockt, das die Stimmung sofort merkbar verbessert!“

„…..ein kleines Lächeln im tristen Alltag.“

um hier nur einige zu nennen.

Wer ist Shivan Shareef?

Ich beschloss, ihn über den Facebook-Messenger anzuschreiben und zu fragen, ob er Interesse an einem Interview und einer kleinen Reportage über ihn hat.

Die Antwort ließ nicht lange auf sich warten: „Hallo….danke für Deine Nachricht. Ja können wir gerne machen.“

Nach einem kurzen Schriftwechsel wurde ein Treffen für den nächsten Samstag am Ort seines zuletzt gemalten Bildes vereinbart. Dort kam dann pünktlich ein sympathischer, sehr gepflegt wirkender junger Mann auf mich zu. Nach einer kurzen Begrüßung kommen wir schnell ins Gespräch und beschließen in die Markthalle zu fahren und uns bei einem Kaffee weiter zu unterhalten.

Als Shivan sich zu mir ins Auto setzt, zieht er einen Mund-Nasen-Schutz auf und meint: „Ich möchte zur Sicherheit beitragen und das Ansteckungsrisiko minimieren.“ Das finde ich gut.

Die Geschichten, die mir Shivan dann in der Markthalle über sich erzählte, verschlugen mir mehrmals die Sprache und beeindruckten mich sehr.

„Wer bist Du?“

Shivan (27) hat zwei Schwestern und zwei Brüder, die jetzt im Irak leben. Er kommt aus Amude, einem kleinen Ort in Syrien, direkt an der Grenze zur Türkei. Zum besseren Verständnis fügt er hinzu, der Ort liege ca. 400 km nordöstlich von Aleppo. Diesen Namen kennen sicher viele von den Kriegsberichterstattungen aus den Medien. Die Bilder werden plötzlich real.

Shivan´s Vater sei Fotograf und auch im Grafikbereich tätig, er hatte vor den Kriegsausbrüchen zwei Geschäfte und so wird mir der Zusammenhang mit den Kreidebildern klar. Shivan meinte, er habe schon von klein auf Kontakt zu Grafiken, Zeichnungen und Fotografien gehabt. Dadurch entstand seine Liebe zur dieser Kunst und er wünscht sich auch vielleicht in diesem Bereich Fuß zu fassen, zu lernen und arbeiten zu können.

Damals, vor Kriegsbeginn 2011, habe er nach seinem Abitur in Aleppo studiert und dort auch seine jetzige Frau kennengelernt.

Nach Kriegsausbruch wurden die Zeiten immer schlechter. Man konnte zwar arbeiten, jedoch für das Geld nichts mehr kaufen. Der Wert des Geldes verfiel, die Preise stiegen immer mehr und durch den Krieg verließen viele Menschen das Land.

Schweren Herzens beschloss auch Shivan das Land zu verlassen und die Familie zurück zu lassen. Zu diesem Zeitpunkt stand Deutschland nicht in seinem Fokus. Nur weg vom Krieg, Arbeit finden und seine Chancen im Leben verbessern. Das war sein Ziel. Deutschland habe sich dann erst irgendwann auf dem Weg ergeben.

Sein langer Weg führte über den Irak, die Türkei, Griechenland, Mazedonien, Serbien, Ungarn, Österreich und letztlich dann nach Deutschland.

Es beeindruckte mich sehr all diese Dinge, die man sonst nur aus dem Fernsehen kennt, von Krieg, von Flüchtlingen in Schlauchbooten, live zu hören. Und ich war sprachlos und beeindruckt über die trotzdem unwahrscheinlich positive Ausstrahlung und…… über das wirklich gute Deutsch.

„Woher kannst Du so gut Deutsch?“

Shivan erklärt, er kam 2016 in Deutschland an und meinte, es wäre das Wichtigste in einem Land die Sprache zu sprechen, um weiter zu kommen. So hat er mehrere Sprachkurse über die Volkshochschulen bekommen und selbst intensiv geübt.

Offen erklärt er mir, dass er um zu üben oftmals selbst vor dem Spiegel gestanden habe und mit sich selbst gesprochen hat. „Denn wenn man keinen kennt und nur mit Leuten umgeben ist, die die Sprache des Landes nicht sprechen, ist es schwer eine neue Sprache zu lernen.“ meinte Shivan.

Dann fiel ein für mich wiederum sehr beeindruckender Satz: „Die Sprache ist der Schlüssel zum Land.“

Er habe hier in Deutschland auch bereits kurzzeitig im Grafikbereich arbeiten können. Da er jedoch keine nachweisliche Ausbildung hat, war das schwierig. Zuletzt hat er in der Gastronomie im Bahnhof gearbeitet, wo er bedingt durch die Coronakrise, jetzt leider seinen Arbeitsplatz verloren hat.

Seine Frau Zozan (26) hat ihr Abitur gemacht und ist direkt ins Studium gegangen. Mit 24 war sie fertig und hat dann sofort zwei Jahre in Aleppo als Ärztin in Zusammenarbeit mit der Organisation -Save the Children- gearbeitet.“ Sie ist seit Januar 2020 auch in Deutschland. Acht Jahre hatten sie sich nicht gesehen. Sie möchte unbedingt schnell Deutsch lernen und dann weiter als Ärztin arbeiten.

Endlich zu den Kreidebildern

„Wie kam es zu den Kreidebildern? Warum machst Du das?“ frage ich.

Erstaunlicherweise erklärt Shivan, dass er diese Zeichnungen mit Kreide überhaupt erstmals vor ca. 6 Wochen angefangen hat. Schon länger ist er in anderen künstlerischen Bereichen aktiv, Bleistift-Punkzeichnungen z.B. ist eine seiner Leidenschaften.

Er wurde durch den bekannten Kostüm- und Bühnenbildner aus New York, David Zinn zu den Kreidebildern inspiriert. Shivan erklärt, er möchte die Bilder von David Zinn nicht kopieren, er möchte sich selbst daran versuchen und seine eigene Kreativität finden und weiterentwickeln.

Der Facebook-Post war eigentlich eine spontane Idee gewesen und er war selbst überwältigt von den vielen positiven Reaktionen der Langenhagener BürgerInnen.

„Ich möchte diese oftmals recht graue Welt ein wenig bunter machen, möchte den Menschen, den Betrachtern meiner Zeichnungen eine Freude machen und ein Lächeln ins Gesicht zaubern. Ich freue mich darüber, wenn die Leute mir schreiben, dass sie extra dorthin gehen, um mein Bild zu finden und auch ein Foto davon zu machen. Dadurch wird es weiter verbreitet und noch mehr Menschen haben Freude daran“ erklärt Shivan dazu.

Etliche Dinge seien auf seiner langen Reise durchaus negativ gewesen. Allerdings, wenn er zurückblicke, sind doch viele Erlebnisse davon letztlich irgendwie auch positiv im Gedächtnis geblieben. Diese positiven Erlebnisse möchte er auch mit seinen Bildern erschaffen.

Warum Kreide? Warum vergänglich ?

Shivan meint, dass viele Künstler mit Bleistift, Lack, Spray und anderen Farben arbeiten und dadurch dauerhafte Kunstwerke schaffen. Kreide habe ihn von der ersten Klasse bis zum Abitur begleitet und er wolle versuchen, sie jetzt mal nicht nur zum Lernen und für nüchterne Zahlen und Buchstaben zu verwenden. Die Kreide soll positiv wirken, bunte Bilder entstehen lassen und Freude verbreiten.

Kreide benutzt er auch, da er ja nicht ungefragt irgendwelche Wände dauerhaft verzieren möchte. Die Kreide könne man problemlos abwischen oder, je nach Lage, verschwinden die Bilder nach dem nächsten Regen automatisch.

Es sei oftmals schwierig, eine geeignete Stelle für seine Kreidebilder zu finden. Zu belebt darf es nicht sein, er möchte ja kein Aufsehen erregen. Zu versteckt darf es auch nicht liegen, denn die Bilder sollen ja gesehen werden.

Je nach Idee und Bild kann es schon mal fast eine Stunde bis zur Fertigstellung eines Bildes dauern, erklärt Shivan. Die Idee zu einem Bild dauere aber oftmals länger als die eigentliche Zeichnung.

Die wirkliche Erinnerung bleibt im Kopf

Die Bilder fesseln den Betrachter durch ihre kindliche Unbefangenheit und eine ausstrahlende Herzenswärme. Oft sind einfache Gedanken bildlich dargestellt und entführen den Betrachter für einen Moment in eine scheinbar heile Traumwelt.

Ob es ein Eisbär mit einem kleinen Blumenstrauß oder zwei kleine Mäuse mit einem Herz an einer langen Kette sind spielt dabei keine Rolle. Es wirkt.

Wie geht´s weiter?

Shivan möchte natürlich möglichst schnell wieder ins Arbeitsleben zurück und er hofft, dass die schwere Coronazeit bald vorübergeht.

Auch hier in Deutschland wünsche er sich wieder im Bereich Grafik/Design oder aber auch im sozialpädagogischen Bereich Fuß zu fassen. Ziel ist es ein Studium in den Wunschbereichen zu realisieren.

Für seine Kunst freut er sich auf Unterstützung in Form von Kommentaren und auch evtl. durch ein Teilen der Beiträge in die Welt.

Und als ich abschließend frage, ob ich etwas besonders erwähnen solle, meint er:

“Ja, meine Frau! Wenn Du denkst, ich hätte viel erlebt, so sei gewiss, sie hat als Ärztin in Aleppo viel mehr erlebt als ich. Sie unterstützt mich und bekräftigt mich sehr in meinem Tun.“

Und er meint es gäbe ein altes Zitat, was zutreffend wäre:

„Man sagt, hinter jedem großartigen Mann gibt es eine Frau. Ich bin zwar kein großartiger Mann, aber da ist eine großartige Frau hinter mir“.

Und wer Interesse an weiteren Bildern hat findet Shivan Shareef bei Facebook,  Instagram und bei Youtube.