Lagebild Organisierte Kriminalität 2019: Mehr als 50 Ermittlungsverfahren, knapp 500 Tatverdächtige, gut 32 Millionen Euro Schaden, 32 Strafverfahren wurden abgeschlossen

Boris Pistorius
Der Niedersächsische Minister für Inneres und Sport, Boris Pistorius - © Nds. Ministerium für Inneres und Sport

Hannover (pm). Der Niedersächsische Minister für Inneres und Sport, Boris Pistorius, und die Niedersächsische Justizministerin, Barbara Havliza, haben heute (23.11.2020) gemeinsam das Lagebild der Justiz und der Polizei „Organisierte Kriminalität (OK) in Niedersachsen 2019″ vorgestellt.

Pistorius: „2019 wurde durch die niedersächsische Polizei in 52 Verfahren gegen 478 Tatverdächtige aus 34 Staaten erfolgreich ermittelt, das sind rund 20 Prozent mehr Verfahren als im Vorjahr. Jedes dieser Verfahren ist ein Erfolg für den Rechtsstaat gegen kriminelle Strukturen, die von den handelnden Personen mit hoher krimineller Energie bewusst abgeschottet und teils hochprofessionell gestaltet werden. Insofern ist das heute vorgelegte Lagebild ein Nachweis für die hervorragende Arbeit unserer Polizistinnen und Polizisten in diesem herausgehobenen Bereich der Kriminalität. Egal, ob Drogen-, Wirtschafts- oder Internetkriminalität – unsere Ermittlerinnen und Ermittler sind bestens ausgebildet, sie kennen die Strukturen der Organisierten Kriminalität sehr genau, und hinter den Ermittlungserfolgen steckt aufwändige und personalintensive Arbeit im Hintergrund. Aktuell sind in Niedersachsen so viele Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter mit der Bekämpfung der Organisierten Kriminalität und von komplexen kriminellen Strukturen befasst wie nie zuvor. Diese Investition zahlt sich aus, zur Sicherheit von uns allen.“

Auch Justizministerin Havliza betonte: „Die Bekämpfung der Organisierten Kriminalität gehört zu den zentralen Aufgaben der niedersächsischen Justiz. Die Zusammenarbeit mit der Polizei ist gerade in diesem Bereich von besonderer Bedeutung. Staatsanwaltschaften und Polizei kooperieren in Niedersachsen eng und vertrauensvoll miteinander.

Dies ermöglicht eine effektive Verfolgung von Straftaten in diesem von hoher krimineller Energie geprägten Deliktsfeld. Die Zahlen zeigen: Die niedersächsische Justiz ist in die Verfolgung und gerichtliche Aufarbeitung von OK-Verfahren stark eingebunden. Im Jahr 2019 haben die Staatsanwaltschaften über insgesamt 96 laufende Ermittlungsverfahren berichtet, im Schwerpunkt aus dem Bereich des Rauschgifthandels. Vor den Gerichten wurden insgesamt 32 Strafverfahren abgeschlossen, in denen 81 Angeklagte verurteilt worden sind. Fast alle zum OK-Lagebild berichteten Urteile enthalten Entscheidungen über die Vermögenseinziehung zulasten der Täter. Diese Einziehungen hatten im Jahr 2019 einen Gesamtwert von fast 5 Millionen Euro.“

Wesentliche Inhalte des Lagebildes

Die niedersächsische Polizei ermittelte im Jahr 2019 in 52 Ermittlungsverfahren und damit in neun Verfahren mehr als im Vorjahr. In all diesen Fällen waren niedersächsische Staatsanwaltschaften sachleitend. Neben den von der Landespolizei bearbeiteten Delikten wurden zwölf weitere Ermittlungskomplexe des Bundes unter der Sachleitung niedersächsischer Staatsanwaltschaften geführt. Somit liegt die Gesamtzahl der gemeldeten Verfahren sogar bei 64. Dabei ging es zum größten Teil um den Handel mit oder Schmuggel von Betäubungsmitteln (29 Verfahren). Ein weiterer Schwerpunkt der Ermittlungen lag im Bereich der Eigentumskriminalität (15 Verfahren).

2019 wurde gegen insgesamt 478 Tatverdächtige aus 34 verschiedenen Staaten ermittelt. Tatverdächtige deutscher Nationalität stellten dabei mit 221 Personen den größten Anteil, gefolgt von der türkischen (65) und albanischen (38) Staatsangehörigkeit.

Der Gesamtschaden der Organisierten Kriminalität lag im Jahr 2019 bei gut 32 Millionen Euro. Die geschätzten kriminellen Erträge beliefen sich auf einen Betrag von etwa 16 Millionen Euro und die Summe der gesicherten Vermögenswerte auf knapp sechs Millionen Euro. Die Abschöpfungsquote, also der Anteil der gesicherten Vermögenswerte an den kriminellen Erträgen, lag damit bei über 35 Prozent.

Ausgewählte Schwerpunkte der OK-Bekämpfung in Niedersachsen

Eigentumskriminalität

Die Eigentumskriminalität hat im Bereich der Organisierten Kriminalität bereits seit mehreren Jahren einen relativ hohen Anteil.

Die Anzahl der bearbeiteten Verfahren im Bereich der Eigentumskriminalität stieg von neun Verfahren im Jahr 2018 auf 15 im Jahr 2019 an. Auch die Anzahl der Tatverdächtigen stieg von 98 auf 121. Beispiele für Eigentumskriminalität in diesem Bereich sind etwa die Sprengung von Geldautomaten oder auch Fahrkartenautomaten, oder auch das Aufschlitzen von LKW-Planen, um deren Ladungen zu stehlen – sogar während der Fahrt.

Clankriminalität

Die Bekämpfung der Clankriminalität respektive krimineller Clanstrukturen bildet seit Jahren einen Schwerpunkt der Kriminalitätsbekämpfung in Niedersachsen. Mit der „Landesrahmenkonzeption zur Bekämpfung krimineller Clanstrukturen“ im März 2018 werden landesweit einheitliche Standards gesetzt und ein ganzheitlicher Bekämpfungsansatz verfolgt. Im vergangenen Jahr hat das Niedersächsische Innenministerium erstmals ein umfassendes Lagebild zu diesem Thema öffentlich vorgestellt. Durch eine intensive Zusammenarbeit von Staatsanwaltschaft und Polizei sollen kriminelle Clanstrukturen erfolgreicher und bereits sehr niedrigschwellig bekämpft werden. Dennoch beobachten die Sicherheitsbehörden eine zunehmend wachsende Rolle der Clankriminalität im Kontext der Organisierten Kriminalität.

Im Jahr 2019 wurden zehn OK-Komplexe gemeldet, bei denen die Tatverdächtigen in kriminelle Clanstrukturen eingebunden und/oder Bezüge zu ethnisch abgeschotteten Subkulturen bzw. Familienclans festgestellt wurden (2018: 4).

Insgesamt wurde gegen 65 Tatverdächtige ermittelt (2018: 25). Diese agierten überwiegend im Bereich der Rauschgiftkriminalität.

Innenminister Pistorius: „Auch wenn die Anzahl der Straftaten im Bereich der Clankriminalität im Verhältnis zur Gesamtkriminalität extrem gering ausfällt – kriminelle Clanmitglieder sind gewalttätig, sie bedrohen ihre Konkurrenz genauso wie Angehörige der Polizei. Davor haben viele Menschen Angst!

Mitglieder aller kriminellen Clans in Niedersachsen treten oft mit großer Respektlosigkeit auf, sie beachten geltende Regeln und Gesetze nicht. Sie bedrohen damit unseren Rechtsstaat und unsere freiheitliche und demokratische Gesellschaft. Darum hat der Kampf gegen die Clankriminalität in Niedersachsen eine extrem hohe Priorität, und wir nutzen dazu alle uns zur Verfügung stehenden Mittel, dazu gehört insbesondere auch eine enge Kooperation mit der Justiz.“

Rauschgiftkriminalität (Drogenkriminalität)

2019 wurde in 29 Verfahren der Drogenkriminalität ermittelt. Damit bildeten diese Verfahren den im Vergleich höchsten Anteil an OK-Verfahren. Insgesamt wurde gegen 229 Tatverdächtige ermittelt. Der steigende Trend bei Verstößen mit Amphetamin und seinen Derivaten sowie Kokain/Crack und Cannabis-Produkten hielt an, dafür verliert Heroin in diesem Zusammenhang immer mehr an Bedeutung.

Trends in der OK-Bekämpfung

Internationalisierung:

2019 wurden in 41 der insgesamt 64 Verfahren (64 Prozent) sogenannte internationale Begehungsweisen festgestellt, Tendenz: steigend. Hintergrund: Teilweise sind höhere Hierarchieebenen organisierter krimineller Strukturen im Ausland angesiedelt. Ein wesentliches Ziel der Bekämpfung der Organisierten Kriminalität ist es, diese Strukturen zu erkennen und möglichst zu zerschlagen. Hierzu sind intensive Ermittlungen im Ausland und Kooperationen mit den Strafverfolgungsbehörden anderer Länder erforderlich. Um mit dem Trend einer zunehmenden Internationalisierung Schritt zu halten, werden sowohl im Bereich der Justiz als auch im Bereich der Polizei die Wege der internationalen Zusammenarbeit sukzessive weiter ausgebaut. Die Möglichkeiten reichen hier von einem grenzüberschreitenden Austausch von Daten und vorhandenen Erkenntnissen bis hin zu konkreter gemeinsamer Ermittlungsarbeit sowohl in polizeilichen als auch in justiziellen Bereichen.

Digitalisierung:

Die Täter machen sich die Möglichkeiten der Digitalisierung im Bereich der OK – wie schon in den vergangenen Jahren immer wieder dargestellt – zunehmend zunutze.

Sowohl im Bereich von Cybercrime-Ermittlungen als auch in Verfahren, die „klassische“ Kriminalität zum Gegenstand haben, müssen Polizei und Justiz Herausforderungen im Handling großer Datenmengen sowie im Umgang mit virtuellen Währungen und genutzter Verschlüsselungs- und Anonymisierungssoftware bewältigen. Die Ermittlungsbehörden begegnen diesen Anforderungen, indem sie ein effektives Informations- und Datenmanagement aufbauen und verstärkt auf die Ermittlungseinheiten unterstützende Fachkräfte und wissenschaftliche Expertise zurückgreifen.

Schwerpunktsetzungen in Polizei und Justiz

Die Niedersächsische Polizei hat sich bereits seit 2017 im Bereich der Cybercrimebekämpfung mit landesweit inzwischen mehr als 60 IT-Spezialisten, sogenannten Financial Intelligence Officer (FIO), verstärkt.

Als Ergebnis einer umfangreichen Organisationsüberprüfung werden dabei zum einen die Fachkommissariate OK und Bandenkriminalität in den Zentralen Kriminalinspektionen zusammengelegt, um Kräfte zu bündeln und noch schlagkräftiger zu werden. Darüber hinaus werden aktuell in den Polizeiinspektionen insgesamt 30 sogenannte „Ständige Ermittlungsgruppen“ für die Bekämpfung komplexer krimineller Strukturen eingerichtet. Diese werden zwar nicht ausschließlich – aber insbesondere auch – Ermittlungsvorgänge im Kontext von kriminellen Banden und Organisierter Kriminalität bearbeiten.

Havliza abschließend: „Der Rechtsstaat muss gegenhalten. Er muss auf die Entwicklungen in der Organisierten Kriminalität reagieren. In der Justiz haben wir das in diesem Jahr getan, indem wir in Niedersachsen vier neue Schwerpunkt-Staatsanwaltschaften gegen Clan-Kriminalität eingerichtet haben. Im kommenden Jahr streben wir an, die meist mit OK-Verfahren befassten Strafkammern an den Landgerichten personell zu unterstützen. 20 neue Strafrichterstellen sind dafür vorgesehen. Aber auch rechtspolitisch gibt es noch einiges zu tun. Das Lagebild deutet daraufhin, dass die Regelungen zu einer Verständigung im Strafverfahren, der sogenannte Deal, kaum genutzt werden. Dies dürfte seinen Grund darin haben, dass diese Regelungen inzwischen hochkomplex und kaum praxistauglich ausgestaltet sind. Das ist ein Thema für Berlin, aber Niedersachsen wird das Thema eng begleiten und sich für praxisgerechte Lösungen einsetzen.“

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